KI in der Schweizer Tech-Branche: Realität hinkt Hype hinterher
K¨¹nstliche Intelligenz ist in aller Munde, aber die Verbreitung in der Schweizer Tech-Industrie ist gering, vor allem im Bereich der Fertigung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die die ETH Z¨¹rich in Zusammenarbeit mit Swissmem und Next Industries durchgef¨¹hrt hat. Der Verantwortliche der Studie, Professor Torbj?rn Netland, erkl?rt, weshalb Schweizer Tech-Unternehmen im internationalen Vergleich dennoch gut dastehen und wie sie ihr Potenzial aussch?pfen k?nnen.
In K¨¹rze
- Die ETH Z¨¹rich hat in Zusammenarbeit mit Swissmem und Next Industries eine Umfrage zum Einsatz von KI in der Schweizer Tech-Industrie durchgef¨¹hrt, an der ¨¹ber 200 Unternehmen teilnahmen.
- Die Studie zeigt, dass KI in der Fertigung aktuell vor allem versuchsweise eingesetzt wird. Viele Unternehmen haben aber ambitionierte Pl?ne f¨¹r die n?chsten Jahre.
- Die Ergebnisse fallen angesichts des Hypes um KI ern¨¹chternd aus. Dennoch sind die Studienautoren ¨¹berzeugt, dass die Schweizer Industrie mit der internationalen Konkurrenz Schritt h?lt.
- Den Unternehmen raten sie, eine KI-Strategie zu entwickeln, die unter anderem aufzeigt, welche Probleme mit KI gel?st werden sollen, und betriebsintern in KI-Fachkr?fte zu investieren.
K¨¹nstliche Intelligenz (KI) hat in verschiedenen Branchen Einzug in den Arbeitsalltag gehalten. Die Pharmaindustrie nutzt KI, um neue Medikamente zu entdecken, die Konsumg¨¹terindustrie setzt sie zur Qualit?tskontrolle ein, und im B¨¹robereich definieren generative KI-Co-Piloten viele Arbeitsabl?ufe neu. Doch wie stark nutzen Schweizer Tech-Unternehmen KI, und in welchen Bereichen wird sie eingesetzt?
KI ist wichtig, wird aber bisher nur langsam angenommen
?Insgesamt ist KI in der Schweizer Tech-Industrie noch wenig verbreitet?, sagt Torbj?rn Netland, Professor f¨¹r Produktions- und Betriebsmanagement an der ETH Z¨¹rich. Dieses Fazit zieht er aus einer Umfrage, die seine Professur in Zusammenarbeit mit Swissmem und Next Industries durchgef¨¹hrt hat, und an der ¨¹ber 200 Schweizer Tech-Unternehmen teilnahmen. Die Umfrage vermittelt ein widerspr¨¹chliches Bild: K¨¹nstliche Intelligenz ist wichtig, aber bisher geht ihre Anwendung in der Industrie kaum ¨¹ber erste Pilotversuche hinaus.
Die H?lfte der Unternehmen antwortete, dass sie den Einsatz von KI in Bezug auf fertigungsbezogene Anwendungen noch nicht in Erw?gung gezogen haben. Ein weiteres F¨¹nftel fand den Einsatz von KI zu wenig ¨¹berzeugend, um die Idee weiter zu verfolgen. 10 Prozent f¨¹hren derzeit Pilotversuche durch, weitere 12 Prozent planen Tests, und erst wenige Unternehmen wenden sie in gr?sserem Massstab an.
Ehrgeizige Pl?ne f¨¹r die nahe Zukunft
?Wenn man sich die antwortenden Unternehmen genauer anschaut, stellt man fest, dass es vor allem die kleineren und weniger profitablen Unternehmen sind, die sich noch nicht mit dem Thema besch?ftigt haben?, sagt Netland. Dieses Ergebnis wird untermauert durch die Antworten der Unternehmen auf die Frage, wie ihrer Meinung nach KI in der Fertigung in drei Jahren eingesetzt wird. W?hrend viele Unternehmen ehrgeizige Pl?ne haben ¨C 16 Prozent wollen KI in grossem Massstab einsetzen und weitere 22 Prozent Pilotversuche durchf¨¹hren ¨C, zeigen die weniger profitablen Unternehmen weniger Ambitionen.
In anderen Anwendungsbereichen sieht das Bild positiver aus. In der Forschung und Entwicklung (R&D) ist der Anteil der Unternehmen, die sich bereits in der Pilotphase befinden, mit 22 Prozent doppelt so hoch wie in der Fertigung. Diese Befragten gehen auch davon aus, dass etwa ein Drittel der Unternehmen plant, KI-Anwendungen in den n?chsten drei Jahren in grossem Umfang einzusetzen. Die Zahlen f¨¹r Vertrieb und Marketing sind ?hnlich, ebenso jene im Bereich Kundendienst und technischer Support. ?Gr¨¹nde f¨¹r die breitere Durchdringung im B¨¹robereich k?nnten die im Vergleich zur Fertigung leichter verf¨¹gbaren Daten und das Potenzial f¨¹r den Einsatz generativer KI wie ChatGPT oder Microsoft Copolit sein?, erkl?rt Netland.
Ern¨¹chternde Ergebnisse angesichts des KI-Hypes
Die Ergebnisse der Umfrage stehen im Gegensatz zu anderen Studien, die eine viel st?rkere Umsetzung von KI in der Technologiebranche nahelegen. ?Diese Berichte werden oft von Organisationen verfasst, die ein pers?nliches Interesse daran haben, eine weiterreichende KI-Implementierung zu zeigen, beispielsweise Beratungsunternehmen, Informatikfirmen oder Verk?ufer von KI-L?sungen?, sagt Netland. Er vermutet, dass die meisten von ihnen ernsthafte Stichprobenverzerrungen aufweisen. Zum Beispiel, wenn Beratungsfirmen ihre Kunden oder KI-Konferenzen ihre Teilnehmenden befragen. Er ist der festen ?berzeugung, dass die aktuelle Umfrage der ETH Z¨¹rich die tats?chliche Situation widerspiegelt: Die Realit?t hinkt dem Hype hinterher.
Netland ist ¨¹berzeugt, dass die Schweizer Technologiebranche mit der internationalen Konkurrenz Schritt h?lt. ?Wenn wir unsere Umfrage mit einer repr?sentativen europ?ischen Stichprobe wiederholen w¨¹rden, w¨¹rden die Ergebnisse wahrscheinlich mit unseren ¨¹bereinstimmen, oder sogar eine noch geringere Anwendungsquote aufweisen?, sagt Netland. Die Schweizer Tech-Industrie sei als Vorreiterin in den Bereichen Technologie und Produktion bekannt. Sie sei auch bekannt f¨¹r ihre Innovationsf?higkeit, ihr ausgezeichnetes Bildungssystem und den vergleichsweise guten Zugang zu Fachkr?ften. Allerdings: Der fehlende Zugang zu KI-Know-how stellt gem?ss der Studie derzeit das gr?sste Hindernis f¨¹r die Schweizer Technologiebranche dar.
Zwei Drittel der Unternehmen antworten, dass sie entweder ¡®gar nicht¡¯ oder nur ¡®in begrenztem Umfang¡¯ Zugang zu internem KI-Know-how oder KI-Talenten an Hochschulen haben. ?Um dieses Potenzial auszusch?pfen, ohne gegen¨¹ber anderen L?ndern ins Hintertreffen zu geraten, muss die Kompetenz- und Ausbildungsl¨¹cke in der Schweiz im Bereich KI geschlossen werden?, sagt Netland. Gleichzeitig ist er ¨¹berzeugt, dass es keinen Grund gibt, zu glauben, dass andere L?nder voraus sind.
?Wenn es der Industrie und der Wissenschaft gelingt, bei die Qualifikationsl¨¹cke zu schliessen und effektiv zusammenzuarbeiten, k?nnte sich das Know-how beim Einsatz von KI in der Fertigung von einem Hindernis in einen Standortvorteil verwandeln?, f¨¹gt Dr. Oliver von Dzengelevski an, der das Umfrageprojekt koordinierte.
Effizienzsteigerung wichtigster Treiber
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die beiden ¨¹berzeugt sind, dass Schweizer Unternehmen international auf Augenh?he sind. Schweizer Industrieunternehmen seien pragmatisch und intelligent; sie w¨¹rden nicht auf den fahrenden Zug aufspringen, nur um den Hype nicht zu verpassen. In der Umfrage gab nur ein F¨¹nftel der Unternehmen an, dass ihr Einsatz von KI in hohem oder sehr hohem Ma?e von aktuellen Trends in der Branche getrieben wird. Als wichtigster Treiber wurde die Effizienzsteigerung genannt. Dar¨¹ber hinaus wird die Aussage durch die Tatsache untermauert, dass die meisten, die KI implementieren und nutzen, mit den Ergebnissen zufrieden sind.
Netland betont die Produktivit?tssteigerung, die KI f¨¹r Unternehmen in der Schweiz und im Ausland bringen kann. ?Es besteht kein Zweifel, dass sie ein Game Changer sein kann?. Doch bis heute sind die meisten Unternehmen noch nicht bereit f¨¹r KI. So fehlt es ihnen beispielsweise an der Datenverwaltung oder der IT-Infrastruktur, die erforderlich ist, um das Potenzial der KI zu nutzen. ?Die gute Nachricht f¨¹r sie ist, dass ihre Konkurrenten auch nicht bereit sind?, sagt Netland. ?Die Frage ist nur, f¨¹r wie lange.?
Empfehlung: Entwicklung einer koh?renten KI-Strategie
Wie aber sollen Unternehmen vorgehen, die vermehrt KI nutzen wollen? ?Vor dem Hintergrund der tiefen Verbreitung und angesichts der Hindernisse und Herausforderungen bei der Einf¨¹hrung von KI sollten Manager eine koh?rente KI-Strategie f¨¹r ihr Unternehmen formulieren, die auf die Ziele der digitalen Transformation abgestimmt ist?, heisst es im Bericht. Dies ist insofern von Bedeutung, als nur eines von vier Unternehmen in der Umfrage angab, ¨¹ber eine solche Strategie zu verf¨¹gen. Die Experten raten den Unternehmen auch, intern in KI-Fachkr?fte zu investieren. Dar¨¹ber hinaus empfehlen sie den Unternehmen, die Einf¨¹hrung von KI realistisch einzusch?tzen und sich zu fragen, was sie von der KI erwarten. ?Am Anfang soll die Frage stehen, welches Problem sie mit KI l?sen wollen?, r?t Netland.
Welche Fallstricke sollten Unternehmen auf jeden Fall vermeiden? ??berm?ssiges Vertrauen und generelles Misstrauen in die KI?, sagt Netland. ?berm?ssiges Vertrauen bedeutet, KI zu implementieren und ihr freien Lauf zu lassen. Dies w¨¹rde nicht nur die Gefahr bergen, dass ¨¹ber die Zeit das Know-how der Arbeitnehmenden abnimmt, sondern auch die Gefahr, dass sie KI-"Halluzinationen" und Fehlern erliegen. Misstrauen gegen¨¹ber der KI hingegen verhindert Bem¨¹hungen, die KI zu erproben, und l?sst ihr Potenzial ungenutzt. ?Wie bei den meisten Dingen im Leben gibt es einen goldenen Mittelweg, und Schweizer Unternehmen sind in der Regel gut darin, ihn zu finden?, sagt Netland.
Literaturhinweis
von Dzengelevski O, Bickel M, Zhang Q, Netland T, The state of AI in the Swiss tech industry: Results from a survey by ETH Zurich in cooperation with Swissmem and Next Industries. doi: ?externe Seite10.3929/ethz-b-000678173.
Serie ?K¨¹nstliche Intelligenz f¨¹r die Schweiz?
K¨¹nstliche Intelligenz (KI) durchdringt s?mtliche Bereiche unseres Lebens, so auch in der Forschung. Methoden des maschinellen Lernens kommen in Projekten aller Disziplinen zum Einsatz. Die ETH Z¨¹rich betreibt aber auch Grundlagenforschung in diesem Bereich. Gemeinsam mit der EPFL hat sie die ?Swiss AI?-Initiative lanciert. Sie hat zum Ziel, die Schweiz als weltweit f¨¹hrenden Standort f¨¹r die Entwicklung und Nutzung einer transparenten und vertrauensw¨¹rdigen KI zu positionieren. In dieser Serie zeigen wir anhand konkreter Beispiele, wie die ETH in gemeinsamen Projekten mit der Industrie, mit NGOs oder Beh?rden KI f¨¹r die Schweiz nutzbar macht und so Mehrwert f¨¹r unser Land schafft.